Das Siebengebirge ist ein verwundetes Land. Seine Berge wurden abgebaut, zerlegt und zerschlagen. Riesige Wunden zieren seine Oberflächen. Seine Gesteine wurden im ganzen Rheinland verteilt. Im Untergrund ziehen sich endlose Gänge entlang, hundert und mehr Meter tief wurden Schächte in die Tiefe gegraben, um wertvolle Erze zu fördern. Höhlen groß wie Kirchen sind entstanden, um kostbaren Tuff für den Ofenbau zu gewinnen.
Jahrhundertelang war das Siebengebirge Bergbauregion. Nein, Jahrtausende lang, denn schon die Römer waren hier und gewannen den Stein, noch früher schürften bereits die Germanen. Das Siebengebirge wurde geschändet, gequält, zerlegt, zerhämmert, vergiftet und verbrannt. Und dennoch oder auch gerade deshalb ist es heute eine so reizvolle Region und auch deshalb ist es Lebensraum für so viele oft seltene Pflanzen- und Tierarten.
Hätte das Siebengebirge nicht diese grausame Geschichte in seiner Vorzeit erfahren, dann wäre es heute vielleicht nicht der Schatz, der es denn nun geworden ist. Hätten nicht schon im Mittelalter der Kölner Erzbischof es darauf angelegt, den Drachenfels zu vernichten, um sein gesamtes Gestein in der Hohen Domkirche zu Köln unterzubringen, hätte der Drachenfels nicht diese gewagte und abenteuerliche Form, die ihn zum Inbegriff der Rheinromantik werden ließ und der preußische König Friedrich Wilhelm IV hätte ihn nicht unter Schutz gestellt. Nur weil die Heisterbach Mönche Steine für ihr Kloster brauchten, wurde der Stenzelberg ausgehöhlt wie ein Schweizer Käse. Und weil Weilberg und Oelberg in ihren Kernen so wunderbar ausgebildete Basaltsäulen besaßen, wurden diese abgebaut und zurück blieben mächtige Felsenwände, schluchtengleich. Diese Folgen des oberirdischen Gesteinsbergbaus prägen bis heute die Landschaft des Siebengebirges und sie schaffen zuvor nicht dagewesene Lebensräume. Was einst offene Bergbauwunden in der Landschaft waren, ist heute Naturwunder. Die mächtigen Steinbrüche des Siebengebirges mit ihren darin liegenden Seen sind Lebensraum für Molche, Kröten und Frösche. In den Geröllhalden unter schattenspendenden Bäumen tapsen Feuersalamander einher. In den unzugänglichen Felswänden nisten seltene Vogelarten, auf dem nackten Fels sonnen sich Eidechsen, Blindschleichen und Ringelnattern. Die aufgelassenen Steinbrüche sind wichtiger Lebensraum seltener Pflanzenarten. So wurde das, was einst auf die Zerstörung des Siebengebirges hinauslief, zur Ursache heute wichtigen Lebensraums.
Spektakuläres Beispiel sind die Felsen und Schluchten des Stenzelberges. Wer hier an einem warmen Sonnentag leise unterwegs ist und auf einem Felsen sitzen bleibt, kann zahlreiche Eidechsen beobachten. Interessantes Beispiel ganz im Süden des Siebengebirges ist der Asberg, er ist nahezu ausgehöhlt, in der Tiefe des alten Steinbruches stoßen wir auf einen romantischen See voller Frösche und auf den Gipfel führt ein schmaler, versteckter Pfad hinauf zum Gipfelkreuz. Eine Fülle von Pflanzenarten begegnet uns auf diesem Weg, von oben blicken wir in versteckte tiefliegende Teiche.
Aber nicht nur der oberiridische Bergwerke setzten dem Siebengebirge zu, auch unterirdisch wurden seine innersten Regionen ausgebeutet. Die Siebengebirgsregion war über 2000 Jahre lang ein wichtiges Erzabbaugebiet. Blei, Kupfer, Zink und Silber wurden gefördert. Schon in der späten Eisenzeit schürften die Germanen im Raum Rheinbreitbach nach Blei und verhütteten es auch, wie Schlackenfunde zeigen. Ebenfalls im Raum Rheinbreitbach trieben bereits im zweiten Jahrhundert die Römer Bergbau. Die Heimatforscher Christian Kies und Klemens Dormagen fanden in jahrelangen Recherchen Spuren und Reste von 145 Bergwerken im Siebengebirgsraum. Nicht jedes dieser Bergwerke war eine große Grube mit Schacht, Aufbereitung, Erzwäsche, Pochwerk oder anderen Einrichtungen, nicht jede hinterließ große Spuren wie Halden und lange Hohlwege. Manche Bergwerke waren winzig, eine kleine Pinge, da buddelte jemand irgendwo im Wald ein bisschen nach Erz. Aber auch große Bergwerke mit einigen hundert Mitarbeitern und Schächten in mehr als hundert Metern Teufe prägten die Landschaft. Eines dieser großen Bergwerke war die Grube St.Josephsberg (Grube Virneburg) bei Rheinbreitbach-Breite Heide. Bis zu 220 Meter tief wurde nach Blei-, Zink- und Kupfererzen gegraben. Rund um Breite Heide finden sich viele Bergbauspuren, alte Stollen, ein Schacht, große Halden, tiefe Hohlwege und überall liegen weiße Quarzbrocken herum, das taube Gestein rund um den Erzgang, die sogenannte Gangart, in denen sich immer wieder Erzminerale finden. Grün und blau schimmern Malachit und Azurit.
In den Wäldern hinter Bad Honnef ging der Erzbergbau ebenso fleißig um. Der Name des langen Tals, des Schmelztals, verrät es uns: hier wurde Erz gefördert und auch verhüttet. Rund zwei dutzend Erzbergwerke existierten einst zwischen Menzenberg, der Löwenburg und Aegidienberg. Mitte des 18.Jahrhunderts wurden die ersten Gruben aufgefahren, um 1850 setzte der Bergbauboom richtig ein. Die Reste vieler dieser Bergwerke sind irgendwo im Wald versteckt und nur ein sehr geübtes Auge kann sie überhaupt erkennen. Aber im Einsiedlertal, das vom Schmelztal hinauf zur Löwenburg führt, lässt sich der historische Erzbergbau gut beobachten. Hier wurde in der Grube „Glückliche Elise“ Blei, Zink und Kupfererz abgebaut, der Erzgang war zwischen 0,6 und 4 Metern mächtig. Aber nicht nur abgebaut wurde das Erz, das Bleierz wurde auch in einer dazugehörigen einfachen Schmelzhütte aufbereitet. Zink- und Kupfererze wurden in Pferdefuhrwerken zum Rhein transportiert und mit dem Schiff zu anderen Verhüttungen gebracht.
Vier Stollen wurden im Gebiet der „Glücklichen Luise“ in den Berg getrieben, 370 m waren sie insgesamt lang, verbunden durch einen 38 Meter tiefen Maschinenschacht (nach Kies, Dormagen & Rieche: Historischer Bergbau im Siebengebirge). Wer den Weg durchs Einsiedlertal hinauf geht, sieht nach wenigen hundert Metern auf der linken Seite des Weges einige Tümpel. Einer schimmert durch Kupferspuren oft bläulich, hier lag der Maschinenschacht, das war der Schacht in die Tiefe, über dem die Fördermaschine stand, die das Erz aus dem Berg heraus beförderte. 1857 wurde die erste Dampfmaschine als Fördermaschine mit immerhin 6 PS Antriebsleistung in Betrieb genommen. Die „Glückliche Elise“ war eine große Grube, nicht nur die unterirdischen Stollen samt Fördereinrichtungen gehörten dazu, oberirdisch fanden sich neben anderen Einrichtungen ein Walzwerk, eine Separationstrommel, es gab Klärteiche und ein Pochwerk. Hier pochten dicke Hämmer auf die Erzklumpen, zerhauten diese am besten zu Staub, so dass sich Nebengestein in der Erzwäsche leicht vom Erz trennen ließ. Etwas oberhalb davon erkennen wir an den Felsen einen gemauerten Rundbogen, der aus der Erde hervorschaut, am Boden verlaufen Wasserrinnen. Überall liegen die typischen weißen Quarzbrocken herum, das taube Gestein, das mit dem Erz an die Erdoberfläche gebraucht worden war. Oftmals sind in diesen Quarzbrocken auch noch Erzmineralien enthalten, auch Schlackebrocken als Zeugen der Verhüttung finden sich.
1920, nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, wurde der Betrieb in der Grube „Glückliche Luise“ endgültig eingestellt.
Viele Jahrhunderte lang war der Erzbergbau für die Region Arbeitgeber und schaffte für viele Einkommen und Wohlstand, auch heute noch sind Lagerstätten mit ausreichend Erz vorhanden. Allerdings, die Gewinnung ist teuer und mit verbesserter Technik sanken die Weltmarktpreise zunehmend. Was im Siebengebirge und im Rest Deutschlands mit großem Aufwand in kleinen Bergwerken gefördert wurde, wurde in anderen Teilen der Welt bald in gewaltigen Tagebauen abgebaut. So schloss im 20.Jahrhundert ein deutsches Bergwerk nach dem anderen. Was blieb, war vielerorts das Gift. Die Spuren der jahrhunderte langen Abbautätigkeit finden die Geologen und Bodenkundler heute noch oftmals in Form von schwermetallbelasteten Böden, aus offenen Grubengebäuden und aus alten Halden treten belastete Wässer aus. Boden und Grundwasser werden verunreinigt oder gar vergiftet.
Ein anderes oberflächliches Problem ist verschwunden, der Wald ist wieder da. Bergbau bedurfte Energie, die es im vorigen Jahrhundert oftmals in Form von Holzkohle gab. Dazu wurden Wälder abgeholzt, vielerorts standen Kohlemeiler, in den die Wälder des Siebengebirges zu Holzkohle verglühten. Das Siebengebirge wird oftmals über große Flächen waldfrei gewesen sein.
Bleibt noch der historische untertägige Tuffabbau zu erwähnen. Die hellen, weichen Tuffe, die vor 25 Millionen Jahren durch gewaltige Vulkanausbrüche im Raum Königswinter gebildet wurden, stellten sich als ein Gestein heraus, das ganz wunderbar für den Backofenbau geeignet war. Zu einer Zeit, in der man noch keinen Edelstahlbackofen in der Küche hatte, sogar bis in die 1960er Jahre, wurde in vielen Dörfern an einem Tag in der Woche auf dem Dorfplatz der Backes eingeheizt. Die Bewohner kamen mit dem fertigen Teig und backten ihr Brot. Notwendig für derartige Backöfen war ein Stein, der einerseits bei großer Hitze nicht zersprang und andererseits Wärme sehr gut speicherte. Der Quarztrachyttuff des Siebengebirges erfüllte diese Voraussetzungen in hervorragender Weise und wurde jahrhunderte lang in gewaltigen unterirdischen Bergwerken abgebaut und sinniger Weise als Ofenkaulentuff bezeichnet. In den scheinbar endlosen Stollen unter dem Siebengebirge fuhren Lorenbahnen und LKW umher, um das gefragte Material aus den mehrstöckigen Bergwerken heraus zu transportieren.
[…] Diese Vielzahl an Bergen, Kuppen und Hügeln ist durch einen vor 25 Mio Jahre beginnenden Vulkanismus entstanden. ► Danach wurde das Gebirge durch die Millionen Jahre dauernde Erosion wieder abgetragen. Zuletzt kam auch noch der Mensch hinzu, und zerlegte das Siebengebirge in Bergwerken und großen Steinbrüchen, um unter anderem Steine für den Kölner Dom, das Kloster Heisterbacherroth und viele mehr zu gewinnen. ► […]
Eine ausgesprochen spannende Geschichte !
Danke für diesen aufschlussreichen Artikel. Lediglich bei der Bewertung des Bergbaus hätte ich mir einen sachlicheren Abstand gewünscht. Backofen bejubeln und gleichzeitig den zugehörigen Tuffabbau ausschließlich mit negativen Wertungen zu belegen, passt nicht zu objektiver Berichterstattung.
Und die Liebe zum Kölner Dom – der nun einmal zwangsweise ein gewisses Maß an Stein zu seiner Errichtung nachfragte – hat sich als geborener Kölner über die Muttermilch so unausrottbar in mir verfangen, dass ich ihn wirklich nicht missen möchte …
Resumee: Baden ohne Wasserkontakt geht nicht!
Das ist ein sehr schöner, berührender Text! Gratulation und vielen Dank!